Happy Frauentag, im Dorf. Immer wenn ich einen feministischen Kommentar schreibe, fürchte ich mich am Tag danach, auf die Straße zu gehen, bei uns im Dorf. Seit gestern steht so ein Text von mir im Netz, jede und jeder kann ihn lesen. Ein paar Kommentare hab ich heute früh gelesen, während ich Schulbrote geschmiert hab und den Geschirrspüler ausgeräumt. Letzte Woche hab ich fast gar keinen Haushalt gemacht, Frauentag ist immer viel Arbeit im Vorfeld, es gab viel Toast und ich war viel unterwegs. Ein guter Frauentag bedeutet 1–2 faule Mutterwochen. Rumoren im Standard Forum: viel Zuspruch dabei, aber auch große Empörung. Dass so eine wie ich. So privilegiert, sicher haben sie mir alles auf dem Silbertablett. Das mit dem Genderpaygap, das stimmt ja alles nicht. Undsoweiter. Alles wiederholt sich im feministischen Jahreskreis, Equal Pay Day, Frauentag, dann der Muttertag, dann immer wieder die Wahlen, dann wieder der Equal Pay day, usw.
Ich geh mit dem Hund raus. Als würde ich etwas (was?) gutmachen wollen und müssen, ertappe mich dabei, wie ich besonders freundlich grüße: Männer, Frauen, Kinder. Schaut doch, ich bin nicht die böse Schwanzabschneiderin, will ich dann zum Ausdruck bringen, und frage mich, warum kein Pseudonym, alles wäre einfacher. Dann andererseits. So weit kommts noch. So viele lesen meine Kommentare eh nicht. Außerdem wissen sie eh schon, was sie von mir kriegen. Es ist ein Beruf, basta. Lieber den Müll ansehen, den ich gar nicht ansehen will. Heute ist „Zeigt her Euren Müll“ Tag. Wer hat den extragroßen Mistkübel, wer kommt mit dem normalen aus? Und dann der Plastikmüll. Wo sind die kleinen und großen Gretas, wer sauft die ganzen Plastikflaschen? Wieviel Privates voneinander zu wissen halten wir aus? Viel. Und wieder die transparenten Windelsäcke, die mich so inspiriert haben, als ich „Hippocampus“ geschrieben habe. So viel Privates und Politisches gleichzeitig, ein reich gedeckter Tisch. Das gibts halt nur bei uns am Land! So viel Inspiration hätte ich gar nicht in Wien, red ich mir ein. Und diese Luft. So süß und frisch, und der Hund: so glücklich.
Es hat auch sein Gutes wenn so ein Frauentag wieder vorbei ist. Wenn all die strammen neoliberalen Rechtfertigungssoldatinnen, die die rechtskonservative Reichshälfte an Tagen wie diesen aus dem Hut zaubert, wieder in der Versenkung verschwinden dürfen. Wenn der ORF nicht mehr „Frauentagsprogramm“ sendet, in dem die armen Royals ihr Leid klagen dürfen, wie hart das Patriarchat im Königshaus zuschlägt. Wenn man nicht mehr der Frauenministerin dabei zuschauen muss, wie sie nach feministischen Grundprinzipien wie Quote und Gehaltstransparenz schlägt, als wären es lästige Schmeißfliegen. Immer mit diesem verzweifelten Augenaufschlag, als würde sie mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen, alles, was den Frauen ein bisschen helfen würde, aus Prinzip totzureden und sich kleine Almosen also bitte nicht kleinreden zu lassen. Und dazwischen immer diese Jesus-Arme. Das hat schon was von Stockholm Syndrom. Diese Frauen sind so fest im Würgegriff der Messagecontroll, dass sie offensichtlich nonverbal um Hilfe bitten.
Das ist nur Eintags-Feminismus, das geht vorbei, ganz bestimmt, will man ihr zurufen. Interessiert morgen kein Schwein mehr. Obwohl: Heute Abend ist nicht nur die Dohnal im Fernsehen sondern es wird auch aus dem Literaturhaus life gestreamt, zum Frauentag. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, unsere Texte und Anliegen in unsere Laptops oder in Kameras auf Stativen zu sprechen, es gibt Honorare, es gibt feedback, und es gibt manchmal sogar mehr ZuseherInnen als in echt. Mutmacherinnen, lautet das Motto. Nach so einem Frauentag ist nicht viel Mut bei mir übrig. Aber Bitterkeit hätte ich zum Saufüttern. Bitterkeit, anyone?
Haben jetzt alle ihre feministischen Wunden fertig geleckt, ja? Na bitte. Sogar die Dohnal hat sich im ORF ein bisschen breit machen dürfen, aber nicht zu breit, gell? Jetzt könne wir alle zurück zum guten alten Patriarchat, am besten mit den Chat-Protokollen zwischen Kurz und HC, Blüml und Kickl, die sich abwechselnd beieinander einschleimen und dann wieder aufeinander einschnappen. Wie ein Hunderudel aus lauter verhinderten Alpharüden, dem das beschwichtigende Weibchen abhanden gekommen ist. Andererseits: welches Weibchen, jemals? Mir steigt nur mein Traum zu Kopf. Heute habe ich von Mexiko geträumt, ich bin dort mit einem Fahrrad herumgeirrt und wurde von einer sehr imposanten Donna mit Hut und Zigarre aufgenommen, die mich in ihrer fetzig ausgemalten Garage schlafen ließ. Anhand einer Wandstickerei kam ich dann drauf, dass ich in Juchitan gelandet war, im Matriarchat! Das freute mich ungemein, ich würde nämlich wahnsinnig gerne eine matriarchale Gesellschaft besuchen, am liebsten auf der Insel Mayotte, dort gibt es nicht nur Chamäleons und Lemuren, sondern eben auch ein Matriarchat, auch wenn das den altvattrischen Wikipedia-Strebern nicht passt, und sie es deswegen nicht erwähnen. Aber das sind nur feuchte feministische Träumereien, überhaupt in den Zeiten von Corona. Geimpft werden wir wahrscheinlich im Herbst, da werden die 80-jährigen schon mit ihren grünen Pässen wieder munter auf Kreuzfahrdampfern herumschippern und wir bestenfalls in Österreich Urlaub machen dürfen, schon wieder. Gern in Tirol, dort ist ja wieder alles möglich und wir können wieder bei Null beginnen. Nicht schon wieder Urlaub in Österreich. Letzten Sommer waren wir schon im Ennstal, und sind dort eine Schlucht hinaufgewandert, obwohl, es war eher eine Prozession, alle Österreicher und Deutsche, die sich im Tal drängten, haben sich schnaufend und schwitzend dicht an dicht am Geländer hochgezogen, dabei laut geredet und einander in den Nacken gekeucht und gespuckt, es war eine einzige Infektionsorgie. Oben angekommen drängten wir uns um einen kleinen Tisch, und die Kellnerin trug ihre Maske, wie am Land durchaus üblich, schick unter der Nase, und der Hüttenwirt hatte ein halbblindes, speichelverschmiertes Visier. Ein krönender Abschluss, die Engländer, die uns begleiteten, lachten heimlich, wir hatten ihnen wieder mal das gemütliche Österreich gezeigt. Aber keine Angst, ich beschwere mich eh nicht, ich halte alle aus, ich bin eine ungeimpfte, pandemiegestählte Corona-Mum. Wir waren ja auch Radfahren in Italien, da kombinierten die Italiener ihre Maske elegant zu ihren feinen Dreiviertelhosen, alles in den trendigsten Farben, gern auch lässig ums Handgelenk wie ein hübsches Accessoire, und in Udine im Hotel trug der Rezeptionist eine schlanke, schwarze Schlafmaske aus Satin, passend zur Krawatte, jedenfalls war weder der Mund noch die Nase bedeckt, es war zum Schreien komisch. Ich bereue nichts. Zeit endlich wieder aufzuwachen.
Heute darf ich eine Redakteurin durch Baden führen, es wird dann ein Feature im Radio geben. Was ich der erzähle, weiß ich schon. Aber was erzähle ich ihr nicht? Hier hat mich der Polizist geschimpft, weil ich mir eingebildet hab, in der Innenstadt barfuß zu gehen. Dort in diesem Park auf diesem Bankerl hab ich meinen Freund betrogen, der war damals der Freund von derundder und übrigens der Sohn von, der wiederum jetzt in der Gemeinde…. Nein, zurück zum Start.
Das Ungeheuerliche an einer Kleinstadt ist ja, dass man mit allen verbunden ist, dass man alle bissl kennt keinen richtig. Deswegen lernt man in einer Kleinstadt das strategische Grüßen. Man kann ja nicht alle grüßen, und deswegen grüßt man in Baden auch niemanden, den man nicht grüßen muss. Jede und jeder trägt kolportierte Geschichten mit sich herum, oft generationenübergreifend. Es passierte praktisch ständig und von Kindestagen an, dass ich jemanden kennenlernte und zu Hause den Namen erwähnte, und die Mutter sagt: ach das muss die Tochter von der Soundso sein, und die Großmutter dann einwarf: genau, das muss dann das Enkelkind der Soundos sein, oder? Ich kenne den Opa, der war. Ja, was war der: ein Säufer, ein Weiberer, ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein fescher Kerl, ein Nazi, ein Naturbursch, ein Spinner, ein Bürgermeister, such‘s dir aus. Und wenn es eine Frau war: eine Furie, eine Schönheit, eine Hur, eine schlechte Mutter, eine liebe Lehrerin, eine, die dann Krebs gekriegt hat, eine Aufgetakelte, eine, die nichts gearbeitet hat, eine Abgerackerte. Die, die keine gefunden haben, die dann weggegangen sind, die die Sprache nicht gekonnt haben oder es nicht ins Gymnasium geschafft haben, über die sprach man nie und sicher ist es immer noch so.
Ist das noch Gequatsche oder schon eine Diagnose?
Natürlich gehöre ich da auch dazu. Es ist schon eine exzessiv kultivierte Erstickung, wie eine Bonsaikultur, die feinste biedermeierliche, bürgerliche Auslese. Und dann auch noch Operettenmetropole: metaphorischer geht‘s nicht. Das findet sich nirgends glaubwürdiger wieder als im Kurpark. Den werde ich der Redakteurin zeigen. Eine einzige Ode an die Zucht und Ordnung auf jedem Quadratzentimeter, kein einziges Unkraut, nur ja nichts Autochtones, das aufkommen will. Das klingt alles so gemein und fies, und das ist auch so. Es hat schon einen Grund warum alle Künstler und Künstlerinnen irgendwann die Stadt verlassen haben und ihnen nachgeschimpft wird.
Warum bin ich noch immer hier, in Reichweite? Hoffentlich fragt sie mich das nicht.
Jetzt habe ich seit genau einer Woche einen Schlüssel zu meinem Büro in Wien und war noch keinen Tag dort schreiben. Heute ist der Tag. Bis jetzt habe ich fast immer zu Hause gearbeitet, im Gästezimmer-Büro, im Schlafzimmer, manchmal durfte ich geile Klausuren machen, Residenzen in reizvollen Schlössern und Landhäusern antreten, später dann weniger geile in Wochenendhäusern und zugigen Wohnungen, um die Ablenkung auszuschalten. In Schottland konnte ich wirklich alles ausknipsen, was nichts mit dem Roman zu tun hatte, dort merkte ich, wie hoch mein Betriebstempo wäre, ohne Rundherum: unfassbare 100 Normseiten im Monat. Als ich dort in meinem Schlosszimmer saß, rief mich eine Mutter an, es hätte in der Klasse eine Prügelei gegeben, mein Sohn hätte echt das, ihr Sohn hätte nur jenes, und ich unterbrach sie grinsend und sagte: ich bin in Schottland in einem Schloss, seien sie mir nicht bös, das geht mich nichts an. Niemals zuvor kam ich dem genialen, männlichen, kinderlosen Schriftstellerprivileg näher als dort.
Für die Fertigstellung eines Anthologietextes bin ich letzte Woche mit dem Laptop durchs Haus gerannt, immer auf der Flucht vor Lärm und Störung, im Büro nebenan telefonierte mein Mann, von oben wummerte der pubertäre Rap, in der Küche wurde ein Zirkus nachgebaut, im hintersten Winkel des Wohnzimmers hatte ich Ruhe, bis mein Kleiner mit seiner Djembe kam, vor dem bin ich dann wieder davongelaufen, der Text gelang im Schlafzimmer und auch nur, weil es wirklich dringend war und buchstäblich um Minuten ging. So schreiben Autoren, die halt auch Frauen und Mütter sind. Es ist total würdelos. Ein ständiger Spagat, der dich nur ausleiert und dir nichts bringt , schon gar nichts für das Schriftstellerleben. Also ein Sprung!
Mein Büro in Wien ist klein, sehr klein, von mir aus könnte es noch ein bisschen kleiner sein.
Ein Tisch, ein paar Stühle, und ein Bett, fertig. Keine Regale, keine Bücher, und die ganze weiße Wand leer, bei der ich mich gefragt habe – was kommt da hin? Deine Plots kommen da hin, hab ich mir dann geantwortet, deine meterlangen Papierwürste, die du daheim verschämt zusammengerollt hast, die breitest du aus und pickst sie fest. Wir haben eine Liste gemacht, was ich noch brauche, und mein Mann hat mich gefragt, ob ich nicht einen Staubsauger, und ich habe gesagt nein, keinen Staubsauger, was kommt als nächstes, ein Thermomix? Maximal Kaffee oder Tee kochen, Essen kochen lassen oder aufs Essen vergessen, keine „inspirierenden“ Treffen mit irgendjemandem. Wie lang muss ich mich in meinem Schreibbüro aufhalten, bis ich Schmutz produziere und einen Staubsauger brauche? Schmutzen tun immer die anderen, der Mann und natürlich die Kinder, sie tragen kiloweise Kieselsteine ins Haus, Erdknödel, Blattwerk und kleine Ästchen, Zuckerlplastik, winzige Playmobilwaffen, Schnupftabakdosen, sinnlose Wertebons und bergeweise Sticker für Stickeralben, die ich für die größte Konsum-Verarschung des 21. Jahrhunderts halte. Als hätte die Gesellschaft nicht genug Dreck und Arbeit, müssen sie auch noch Stickermüll sammeln, sortieren und auf facebook tauschen, den Kindern ist das nämlich zu mühsam, und nur die Frauen sind blöd genug, sich dafür einspannen zu lassen. Ich krieg gleich wieder einen Wutanfall. Aber den nehme ich mit nach Wien, den baue ich gleich ein. Den Textblock über die Rolle von Vogelstimmen während der Pandemie, den ich die letzten Tage mitgeschleppt habe und irgendwo unterbringen wollte, der passt auch heute nicht, der muss warten, aber der nächste Lockdown kommt bestimmt. Danke fürs mitlesen, es war mir ein Volksfest!