Blog von Clemens Berger Folge 4: Land, Volk, Begeh­ren

Blog von Clemens Berger Folge 4: Land, Volk, Begeh­ren

Das Begehren des Volkes

Es war ein bizarres Schauspiel, als Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache erstmals nach Koalitionsschluss im neuen Regierungssender Österreich TV auftraten. Einträchtig und lächelnd saßen sie nebeneinander, während der feiste Wolfgang Fellner seine gewohnt harten Schmeichelfragen stellte. Wahlkampf sei Wahlkampf, sagten beide unisono, da sage man Sachen in einer Schärfe, in der man sie üblicherweise nicht unbedingt sage. Zumal sie, sagten beide unisono, einander noch nicht gekannt hätten, jetzt aber, da sie einander in langen Vieraugengesprächen kennen und schätzen gelernt hätten, sei all das Schnee von gestern. Unverwandt räumten beide ein, dass die neue Volkspartei ihren Standpunkt in der Frage des Rauchverbots und die Freiheitlichen den ihren in der Frage des Freihandelsabkommens CETA habe aufgeben müssen. Das sei nun einmal das Wesen einer Koalition, sagten beide unisono, da müsse man Kompromisse schließen.

Alle reden vom Don’t‑smoke-Volksbegehren, das die Freiheitlichen, im Wahlkampf große Verfechter der direkten Demokratie, nunmehr ärgert, weil sie das bedingungslose Rauchverbot in Lokalen nicht wollen. Kaum jemand aber spricht von CETA — abgesehen von dem großen Intellektuellen unter den Krone-Kolumnisten, Dr. Tassilo Wallentin, dessen Sonntagskolumne Strache Woche für Woche zustimmend auf Facebook teilt. Letzte Woche teilte er sie allerdings nicht: Wallentin, der von den Freiheitlichen als Höchstrichter ins Gespräch gebracht worden war und es nicht wurde, attackierte Strache in der Causa CETA und sprach von einem schändlich gebrochenen Wahlversprechen.

Was nicht weiter verwundert: Längst hat sich in der FPÖ der neoliberale Flügel gegen den nationalkapitalistischen durchgesetzt. Vor dem Wahlkampf  aber hatte man gesehen, dass ein Großteil der Bevölkerung gegen CETA ist. Wenn das jetzt nicht das dritte Volksbegehren wäre! Wobei es ja, wie wir wissen, kein Volk gibt — meint das Wort doch gleichzeitig alle und die unteren Klassen. Die Freiheitlichen aber sehen das Volk als nationale Schicksalsgemeinschaft, in der ein Langzeitarbeitsloser mit einem Großunternehmer darin verbunden ist, dass beide Österreicher sind. Was das Volk begehrt, also jenes mit dem kleinen v, die Armen und Armutsgefährdeten, die Aufmüpfigen und Widerspenstigen, jene, die für Unternehmer und Aktionäre Gewinne produzieren, ist ihnen gleichgültig. Das Volk hat zu begehren, was die freiheitlichen Nationalisten für schicklich befinden. Dafür bestimmen immer noch sie, was ein Österreicher ist. Das Traurige und Erschreckende dabei ist, dass es unterm Strich der Rassismus war, der diese Koalition ermöglichte.

Ich hatte lange vermutet, dass, nachdem das Rauchen in Lokalen dermaßen bizarr leidenschaftlich diskutiert wird, die Regierung selbst eine Volksabstimmung vorschlagen würde. Damit hätte sie mehrere Aschenbecher auf einmal umgedreht: Die Freiheitlichen hätten ihr Versprechen von mehr direkter Demokratie einlösen können, und die Koalition hätte nickend verkünden können, es wären die Österreicherinnen und Österreicher, die frei über brennende Fragen entscheiden könnten. Als nächstes hätte man das Volksbegehren Österreich zuerst 2.0 lancieren und im Stile Viktor Orbáns die Frage stellen können, ob Österreich Flüchtlinge aufnehmen solle.
It’s the national and global economy, stupid! Aber bei Türkisblau ist immer noch Fasching, aber ohne soziale Rollenumkehr: Lei, lei!

Die schlimmste Verirrung der politischen Korrektheit

Eine der schlimmsten und wirkmächtigsten Verirrungen politisch korrekter Sprachregelungen betrifft die Freiheitlichen selbst: Seit geraumer Zeit nennt man sie „rechtspopulistisch“ — und nicht rechtsextrem, faschistoid oder faschistisch. Ein neuer Begriff aber führt ein anderes Verhältnis zum Bezeichneten mit sich. Ich weiß nicht, ob die Putzfrau, die Raumpflegerin genannt wird, deswegen in der Gesellschaft angesehener ist. Aber wie ist das mit Rechtsextremen, aus denen Rechtspopulisten werden?

Sauber sei das Land

In Altaussee, wo zwei Damen vor mir das Don’t‑smoke-Volksbegehren unterzeichneten, während völlig klar war, dass die Unterzeichnung des Frauenvolksbegehrens für sie nicht in Frage komme, verbringe ich schöne und ruhige Tage. Alles ist sauber, die Luft frisch. Keine Graffitis, keine Tags. Einzig auf zwei Laternen fand ich Aufkleber: auf einem einen durchgestrichenen Van der Bellen, Überbleibsel des Wahlkampfes gegen Ingenieur Hofer, der heute Minister ist, darunter einen, auf dem „Jeder hasst die Antifa“ steht, was mich zu dem Gedanken führte, die Antifa Altaussee müsse besonders radikal sein. Auf einer anderen Laterne klebte der Aufruf, Asylsuchende zurückzuschicken, unterschrieben von einem „Ministerium für Remigration“. Wahrscheinlich, dachte ich, war Martin Sellner, dem Anführer der Faschisten, die sich Identitäre nennen, auf Sommerfrische mit den Eltern langweilig. Das Merkwürdige war bloß, dass ich mich, beim Entfernen des Aufklebers, umsah — gerade so, als täte ich etwas Unstatthaftes.

Literaturhaus am Inn – Lieben, Sprechen, Fühlen, Genießen
Josef-Hirn-Straße 5
6020 Innsbruck

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