Es ist mit Türkbisblau ein wenig wie mit Donald Trump: Noch schüttelt man ungläubig den Kopf über den letzten Irrsinn, als schon der nächste auf der Tagesordnung steht. Steuergeschenke für Reiche, Familienboni, von denen wohlhabendere Haushalte stärker profitieren als ärmere und arme, eine Sondereinheit zur Bekämpfung von Straßenkriminalität, die unter Führung eines FPÖ-Politikers eine Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung durchführt, wobei sie Festplatten mit Daten über Verdächtige — und zufällig auch über rechtsextreme Aktivitäten und Akteure, die Verbindungen zu den Freiheitlichen haben oder haben könnten — spiegelt, Aussagen, Vorschläge und täglich bedauernswerte Einzelfälle, die einen ein ums andere Mal fassungslos zurücklassen. In diesen Tagen stehen die türkisblauen Ministerinnen und Minster dann mit ernsten und betroffenen Mienen bei diversen Gedenkveranstaltungen an den sogenannten Anschluss, verurteilen Nationalsozialismus, Faschismus, Antisemitismus, Demokratieverachtung und Intoleranz in Bausch und Bogen und wiederholen ein ums andere Mal mit entschlossenen Blicken, dergleichen dürfe sich niemals wiederholen.
Trotzdem traute ich meinen Ohren nicht, als ich morgens beim Frühstück im Radio hörte, die Bundesregierung wolle Wachstum als Staatsziel in der Verfassung verankern lassen. Wirtschaftswachstum als oberste Staatspriorität! Freude, Glück und Stolz durch Wachstum! Mehr ist mehr! Hoch die nationale Produktion! Das ist dermaßen haarsträubend, dass ich mich für einen kurzen Moment fragte, ob ich richtig gehört hätte. Während jeder einigermaßen vernünftige Mensch längst weiß, dass es genau in die entgegengesetzte Richtung gehen muss, wenn uns an diesem Planeten und den ihn Bewohnenden auch nur im Entferntesten gelegen ist — dass also die Produktion von Waren und Dienstleistungen radikal verändert werden muss, und nicht nur die Art und Weise, wie und unter welchen Umständen Menschen produzieren, sondern auch was sie wie produzieren, und wieviel davon und wofür. In der akademischen Debatte heißt der Begriff der Stunde degrowth, also rückläufiges, zurückgenommenes, gedrosseltes Wachstum unter Berücksichtigung der Frage, wie eine global gerechtere und für den Planeten schonendere Produktion aussehen könnte. Diese Regierung freilich folgt dem blinden Diktat der herrschenden Ökonomie und ihren Nutznießern: Wachstum um des Wachstums willen, damit man patriotisch sein und im globalen Standortwettbewerb auf die österreichische Wirtschaft stolz sein kann. Dabei kann und wird, allen Beteuerungen zum Trotz, weder an jene gedacht, die arbeiten, noch an die Umwelt. Dass es uns gut gehe, wenn es der Wirtschaft gut gehe, stimmte schon nicht, als der Satz zum ersten Mal auf Decken gestickt wurde — und heute umso weniger. Neben uns die Sintflut! Die Industriellenvereinigung frohlockte natürlich. Richtig und wichtig sei dieser Vorschlag, damit könnte man große Projekte endlich durchboxen, will heißen: undemokratisch festlegen. Durchboxen benennt es ohnehin.
Kurz, Strache und Co. könnten aber noch mehr in die Verfassung schreiben lassen: Dass jeden Tag schönes Wetter sei; dass es keinen Antisemitismus in Österreich gebe; dass niemand rassistisch sei, und wenn, dann bloß im Scherz; dass kein Bundeskanzler bei Kanzlerschaftsantritt jünger als die beiden jüngsten sein dürfe: Kurz 31, Schuschnigg 36 Jahre. Für neue Verfassungszusätze könnten sie Rat von chinesischen Glückskeksproduzenten einholen. Denen gehen allerdings, zumindest in den USA, gerade die Sprüche aus, weil sich zu viele Menschen zu leicht von diesen behelligt und überfordert fühlen. Es ist ein schönes Land geht aber immer. Wir wachsen uns zu Tode wäre aufrichtiger.