Als ich unlängst nach Wien zurückkam, standen meine Nachbarn, ein Ehepaar im Ruhestand, mit einer anderen Nachbarin vor dem Hauseingang. Der Eingang führt zur ersten Stiege und in einen Innenhof, an dessen Ende die zweite Stiege liegt. Ich grüßte sie. Als ich weiter wollte, fragten sie mich, ob ich den Mann gesehen hätte, der seit einiger Zeit hier, gleich hinter dem Eingang an der Wand, in einen Schlafsack gehüllt liege. Das Haustor ist üblicherweise ab neun Uhr abends versperrt, Gegensprechanlage gibt es keine. Ich war zwei Wochen in Jena gewesen. Nein, sagte ich, aber man könnte ja das Kältetelefon der Caritas anrufen. Die beiden, die üblicherweise sehr freundlich und hilfsbereit sind, und die Dame, die ich nur vom Sehen kenne, blickten mich entgeistert an. Den müsse man fotografieren — und das Foto der Polizei schicken! Das sei ja ein Wahnsinn! Der schlafe einfach hier! Ich drehte mich um und ging. Willkommen zuhause, dachte ich.
Das ist das Widerliche an Österreich: Angst gepaart mit Gemeinheit und Verachtung für jene, denen es ohnehin erbärmlich geht. Es geht nicht um den Mann, den ich nie gesehen habe. Es geht um eine Stimmung, die latent da ist und von Türkisblau mit erschaffen und vehement befeuert wurde. Es ist die kleinbürgerliche Angst, eine vermeintlich heile Welt zu verlieren. Es ist der Wunsch nach Sauberkeit, der einen cordon sanitaire gegenüber jenen ziehen will, die an den Verhältnissen scheitern oder gescheitert sind. Es ist die Verteidigung des christlichen Abendlandes, die nicht das Geringste mit christlich zu tun hat. Es ist der Ruf nach der Polizei, die Bettler, Obdachlose und Frauen in Burkas zur Raison rufen und aus der Öffentlichkeit verbannen soll. (Das ist kein Lob der Burka, bloß die Erinnerung daran, dass kurz nach Einführung des Vermummungsverbots die ersten besorgten Bürgerinnen und Bürger verschleierte Frauen in U‑Bahn-Stationen anhielten, um die Polizei zu rufen.) Es ist die Forderung, Demonstrationen zu verbieten, weil sie das Geschäft und den Verkehr störten. Es ist die Empörung über alles, was nicht so ist, wie es der Kleinbürger für richtig, gesund, sauber und normal hält. Anstatt zu versuchen, Menschen von irrationalen Ängsten zu befreien, werden diese von der neuen Volkspartei und den Freiheitlichen Tag für Tag entschieden verstärkt. Sie werden ernst genommen.
Höchstwahrscheinlich war es nicht Absicht des Mannes im Schlafsack, spät Heimkehrende zu überfallen, auszurauben oder zu ermorden. An dem Abend, an dem ich von ihm hörte, versammelten sich auf dem Heldenplatz Tausende Menschen zur Erinnerung an Ute Bock.