Moderation: Julia Rhomberg
Wer ist Martha? ist ein wunderbar kühner Roman. Es geht um die Freude am Dasein, die Würde des Menschen, die Liebe zur Schöpfung. Wer Martha ist, wird hier nicht verraten, aber über Luka Lewa-dski kann Folgendes berichtet werden: Ornithologe aus der Ukraine und der Verfasser der bahnbrechenden Studie Über die Rechenschwäche der Rabenvögel. Über seine Forschungen ist er in die Jahre gekommen und 96 geworden. Viel Zeit bleibt nicht mehr, sagt der Arzt. Und die will genützt sein, sagt sich Lewadski. Also reist er nach Wien, steigt im noblen Hotel Imperial ab und lernt im Fahrstuhl einen Altersgenossen kennen, dem der Lebensfaden auch schon reichlich kurz geworden ist. Die beiden in die Jahre gekommenen Herren finden ihren Platz in der Hotelbar, kommentieren die Frisuren der Damen, rekapitulieren das mörderische vergangene Jahrhundert und träumen von der Revolution. Phantastisch und originell, lebendig und frech – so zeigt sich die Romanwelt von Marjana Gaponenko.
Wie löst man wohl die Apokalypse aus? Diese Frage stellt sich in Cordula Simons Roman Ostrov Mogila. Man könnte sie einer jungen Frau in Odessa zuschreiben: Als sie mit ihrem Freund schläft, beginnt der Zusammenbruch der Stadt. Wie eine Kettenreaktion setzt sich der Untergang nun fort, macht nicht Halt vor Gebäuden und Straßen, lässt Gewässer über ihre Ufer treten, Straßenbahnen entgleisen, Menschen zu Riesen wachsen und Drachen und Einhörner aus ihren Verstecken kriechen. Vor allem aber macht er nicht Halt vor den Menschen, deren Schicksale in Cordula Simons schaurigem Reigen einander die Hand zu reichen scheinen. Kraftvoll, mit überbordernder Fantasie für das Unfassbare, das Menschliche und das Abgründige, taucht Cordula Simon auch in ihrem neuen Roman einmal mehr in den fantastischen Realismus ein, dem sie ihre eigene, morbide Note verleiht.
Marjana Gaponenko: Wer ist Martha? Roman. Suhrkamp Verlag 2012
Cordula Simon: Ostrov Mogila. Roman. Picus Verlag 2013