Blog von Cle­mens Ber­ger. Fol­ge 6: Über­kon­stru­ier­te Geschich­te

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Weit nach rechts gerückte Konservative schließen eine Koalition mit einer Rechten, die sich zur Schutzherrin der sogenannten kleinen Leute stilisiert. Dafür opfern diese ihre Haltung zu einem in der Bevölkerung höchst unpopulären Freihandelsabkommen und jene ihre Haltung zum Nichtraucherschutz. Ein junger Mann, der im Wahlkampf nicht nur die Farbe der Österreichischen Volkspartei, sondern gleich auch ihren Namen ändert, indem er ihn durch seinen eigenen ersetzt und die Partei zur Bewegung erklärt, wird von Parteigranden mit leuchtenden Augen angehimmelt und zum Retter erkoren. Der Führer der Rechten trägt nunmehr Brille, um staatsmännischer zu wirken, seine Kleidung zitiert traditionelle Trachten. Er wird Vizekanzler und Minister für Sport und Beamte. Der propagandistische Strippenzieher der Rechten, der über Jahrzehnte die widerlichsten Wahlkampfparolen ausheckte, wird Innenminister und Herr über Polizei und Geheimdienste. Der knapp gescheiterte Präsidentschaftskandidat der Rechten wird Infrastrukturminister; als erstes denkt er laut über die Aufhebung des Rechtsabbiegens bei Rot nach. Wäre er, wie angedacht, Außenminister geworden, hätten Bundespräsident und Außenminister einander auf Flügen zu Staatsbesuchen bereits bestens gekannt. Die Besetzung der Ministerien sowie die Tatsache, dass das Innenministerium doch nicht in Heimatschutzministerium umgetauft wurde, werden als Erfolg des Bundespräsidenten und Verhinderung des Schlimmsten gewertet. Während die neue Regierung Maßnahmen einleitet, welche die sozialen Gegensätze verschärfen, und beinhart die Interessen einer kleinen ökonomischen Elite vertritt, ereifern sich die Bürgerinnen und Bürger über die geplante Rücknahme des totalen Rauchverbots in Lokalen.

Ein anderer junger Mann, der in Niederösterreich die Rechte in die Landtagswahl führt, erklärt in einem Interview, er sei froh, dass seine aus dem Iran stammende Mutter zuhause nie Persisch gesprochen habe und er also kein Wort Persisch spreche; zumal seine Mutter ihre Kultur wohlweislich dort gelassen habe, wo sie hingehöre: nämlich in der Heimat. Der junge österreichische Patriot ist Mitglied einer Burschenschaft namens Germania, in der junge bis alte Männer Bier trinken, einander mit Degen Gesichtsverletzungen zufügen, alte Sieges- und Schmählieder singen, vor allem aber wichtige Seilschaften knüpfen. Nun taucht allerdings kurz vor der Wahl ein von der Burschenschaft des jungen Spitzenkandidaten herausgegebenes Liederbuch auf. In einem Lied heißt es, man werde die siebte Million ermordeter Juden auch noch schaffen. Der junge Mann und seine Partei orten eine üble Schmutzkübelkampagne. Er tritt nicht zurück und kann das Ergebnis seiner Partei, wie allenthalben erleichtert festgestellt wird, nur verdoppeln. In der Zwischenzeit werden im Keller eines sozialdemokratischen Gemeindepolitikers nationalsozialistische Devotionalien und Waffen gefunden; zudem soll er Kinder missbraucht haben. Der junge Mann, der zum Glück nicht Persisch spricht, muss, will er nicht den Deckel nehmen, nach gewonnener Wahl den Hut nehmen; in der Zwischenzeit hat die Polizei Liederbücher und andere Materialen seiner Burschenschaft im Zuge einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt. Nun wird bekannt, dass ein sozialdemokratischer Politiker und passionierter Hobbykünstler das Liederbuch illustriert hat.

Spätestens jetzt würde jede Lektorin einem Schriftsteller mehr oder minder behutsam zu erklären versuchen, dass es spätestens jetzt reiche, die Geschichte grotesk überzeichnet und heillos überkonstruiert sei.

Trotzdem ist das Hauptproblem dieser Regierung nicht eine wie auch immer geartete Nähe zum Nationalsozialismus. Der weitaus größere Teil der Rechten will nicht Führers Geburtstag feiern, Hakenkreuzfahnen aus dem Fenster hängen oder Juden vernichten, sondern endlich wieder stolz auf ihre Heimat sein, weshalb deren dunkle Geschichte im Dunkel bleiben soll. Was Adorno 1959 für Deutschland konstatierte, gilt natürlich auch für Österreich: „Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.“ Der zeitgenössische Faschismus will nicht durch Putsch, mit in Kellern versteckten Waffen oder in Wäldern vergrabenen Handgranaten, sondern demokratisch legitimiert die Macht erringen. Wobei in Österreich noch ein anderer Faschismus nachlebt: jener des austrofaschistischen Ständestaates. Die FPÖ ging aus dem VdU hervor, der Sammelbewegung heimatloser Nationalsozialisten. Die ÖVP trat die Nachfolge der Christlichsozialen Partei an, deren Führer Dollfuß die parlamentarische Demokratie ausschaltete, Arbeiter vom Bundesheer beschießen ließ und einen Konkurrenzfaschismus gegen den Nationalsozialismus des großen Nachbarn etablierte.

Die Nachfahren zweier Faschismen haben eine Koalition gebildet. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie ihr Erbe genauso verraten wie die Sozialdemokratie.

Literaturhaus am Inn – Lieben, Sprechen, Fühlen, Genießen
Josef-Hirn-Straße 5
6020 Innsbruck

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