Blog von Clemens Berger Folge 5: Das Kreuz mit dem Penis

Blog von Clemens Berger Folge 5: Das Kreuz mit dem Penis

Das Land ist dumm. Dieses Land als Land, und das Land im Vergleich zur Stadt. Man konnte es am Sonntag wieder in Tirol sehen.

Wenn man das sagt, und wir sagen es gelegentlich aus Verzweiflung, wird man der Überheblichkeit und des Hochmuts geziehen. Man schätze Demokratie und demokratische Wahlen nur dann, wenn einem das Ergebnis genehm sei. Man verachte also die Demokratie und den freien Willen der Wähler. Das steht in wütenden Postings auf der Facebook-Seite Straches und in den Leserbriefseiten der Krone. So ähnlich, naturgemäß gelassener und historisch weiter ausholend, argumentierte unlängst auch Konrad Paul Liessmann in einer Diskussion mit Doron Rabinovici. Das Unbehagen an der Demokratie, von dem heute gesprochen werde, bestehe, seit es Demokratie gebe, und die Diagnose ihrer Krise sei genauso alt wie die Demokratie selbst.

Das ist eine sehr beiläufige Diagnose einer Diagnose, deren kritische und historische Behandlung mehrere Seminare über viele Semester in Anspruch nähme. Aber die Frage, was gemeint sei, wenn von Demokratie gesprochen werde, beginnt mit: Wer ist der demos? Das sind heute, wie am Sonntag in Tirol, jene, die wahlberechtigt sind. Viele von denen, die in Tirol leben, Steuern zahlen, sich einbringen, dürfen nicht wählen, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft oder ihren Hauptwohnsitz anderswo haben. Den vierzig Prozent, die von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machten, wird mit Unverständnis bis Wut begegnet. Dabei wird nicht in Betracht gezogen, dass die Ansicht vieler, mit ihrer Stimme bei dieser Wahl und für eine dieser Parteien nichts Grundlegendes verändern zu können, zutreffen könnte. Wir lernen: Die Demokraten sind die, die wählen. Jene, die nicht wählen dürfen und gerne wählen würden, sind Zaungäste. Und jene, die nicht wählen, sind Antidemokraten.

Die zweite Frage wäre die nach der Wahlentscheidung. Was bringt jemanden dazu, dieser oder jener Partei seine oder ihre Stimme zu geben? Hier soll nicht von der blühenden österreichischen Medienlandschaft gesprochen werden. Auch nicht von europäischen und internationalen Trends. Wenn aber ein großer Teil der Menschen gerade jene Parteien wählt, die Politik gegen ihre eigenen Interessen machen, vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, kommt man nicht umhin, ein entscheidendes Wahlmotiv im Rassismus zu sehen, in der geschürten Angst vor den Fremden, die einem etwas wegnähmen. Natürlich nimmt „der Ausländer“ „dem Inländer“ „die Arbeit“ weg. Zumindest in manchen Bereichen. Weil der Unternehmer diesem weniger zahlt als jenem. Daran ist aber nicht dieser Schuld. Dabei ist die Frage, warum „der Inländer“ mehr Anrecht auf eine Stelle haben sollte als „der Ausländer“, noch nicht einmal gestellt. Die aufrechten Demokraten aber zucken mit den Achseln und heben belehrend die Finger: Der Wähler habe immer Recht. Er sei ein autonomes Individuum. Hier den Konjunktiv zu verwenden, ist schon undemokratisch.
Die Freiheitlichen jedenfalls haben ihr Demokratieverständnis erneut eindrucksvoll bewiesen. Sie beschimpfen nicht den Wähler. Sie fechten die Wahl an, wenn sie ihnen nicht genehm ist. Sie denken laut über eine Neuauszählung nach. Es könne nicht sein, dass sie sechzehn Stimmen zu wenig für ein weiteres Mandat hätten.

Sie müssten es besser wissen: In Kärnten, dem in Demokratiefragen bizarrsten Land dieses Landes, machte einmal eine Stimme den Unterschied aus. Ein BZÖ-Wähler habe seine Wahlabsicht auf dem Stimmzettel klar zum Ausdruck gebracht, verlautete Stefan Petzner, bei der Vorzugsstimme aber eine kleine Karikatur angebracht. Es gehe nicht an, dass die Stimme für ungültig erklärt werde, das BZÖ ein Mandat verliere und SPÖ, ÖVP und Grüne dadurch die Zweidrittelmehrheit behielten. Die Angelegenheit kam vor den Verfassungsgerichtshof. Ein Stimmzettel war tatsächlich mit einer kleinen Karikatur versehen. Allerdings neben den Piraten. Hätten die Piraten die Stimme angefochten, wäre sie für gültig erklärt worden. Das BZÖ verlor ein wichtiges Mandat. Die kleine Karikatur war ein Penis. Er war dem BZÖ gemalt worden.

Literaturhaus am Inn – Lieben, Sprechen, Fühlen, Genießen
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