Blog von Clemens Berger Folge 1: Karriere und Ressentiment

Blog von Clemens Berger Folge 1: Karriere und Ressentiment

Im Schweigen der Lämmer zitiert Hannibal Lecter den in Wien gestorbenen Marc Aurel: „Bei jedem einzelnen Ding die Frage, was ist es in sich selbst? Was ist seine Natur?“ Auf Türkis und Blau umgelegt, fällt die Antwort leicht: Karriere und Ressentiment im Zeichen des Kapitalismus.

Der Führungsclan der neuen Volkspartei besteht aus Karrieristen, deren einziges Ziel es ist, vorne dabei und an der Macht zu sein. Sie lieben die Verhältnisse, wie sie sind, weil sie sich über ihnen wähnen, und verorten sich in der besten aller möglichen Welten, deren Verbesserung einzig durch noch stärkere Liberalisierung der Arbeitswelt und höhere Gewinne der Unternehmen zu bewerkstelligen sei. Den meisten Freiheitlichen steht das von ihnen geschürte und bediente Ressentiment bereits in Gesicht und Körper geschrieben. Sie wähnen sich und Österreich immer ungerecht behandelt, während sie Österreich mit sich gleichsetzen. Wenn sie bloß den Mund öffnen, spürt man all das Unterdrückte und Nichtzugelassene, das zu begreifen Jahre intensiver Analyse bedürfte. Genau das verfängt bei ihren Wählern: Es ist alles falsch, oder, wie unlängst ein Wiener an einem Nebentisch sagte: „Nix is mehr normal“, woran andere Schuld sein müssen, also immer die, die einem etwas wegnehmen wollen. Das sind dann aber nie die, die einem tatsächlich etwas wegnehmen, sondern immer die, die auch etwas wollen, um überleben zu können. Das Ressentiment hat sich im letzten Wahlkampf triumphal durchgesetzt: Man nimmt gewisse Einschnitte in Kauf, solange die unter einem nichts oder weniger bekommen.

Dabei sind Karriere und Ressentiment auf beiden Seiten verquickt: Die einen wollten den anderen das Wasser beim Ressentiment abgraben; die anderen waren ambitioniert, endlich Regierungsverantwortung zu übernehmen — mit einer starken freiheitlichen Handschrift bei Migration, Sicherheit und Fairness. Bis auf letzteres scheint es zu gelingen, weil der schrankenlose Kapitalismus von beiden nicht nur nicht abgelehnt, sondern hofiert wird. Kurz ließ sich seinen Wahlkampf von den Reichen dieses Landes bezahlen, während Strache und die Seinen in Bierzelten von nationalem Kapitalismus delirieren, also dem Recht, dass es nur Staatsbürgern erlaubt sein solle, ausgebeutet zu werden. Am besten von Staatsbürgern.

Vor dem Hintergrund einer globalen Krise und einem Rechtsruck mit faschistischen Tendenzen sind Karrierismus und Ressentiment ein alarmierendes Amalgam. Dass gesellschaftlich produzierter Reichtum anders verteilt werden, dass die Produktion von Waren und Dienstleistungen sinnvoller ablaufen, dass ein gutes Lebens für alle tatsächlich demokratisch verhandelt werden müsste, fällt dem türkisblauen Gruselkabinett im Traum nicht ein. Das Erschreckende ist allerdings, dass sich der größte Teil ihrer Gegner die Abdankung oder das Scheitern der Regierung nur als Folge eines Skandals vorstellen kann. Ein medial aufbereiteter Skandal ist aber nichts als moralische Empörung, die zumeist Wasser auf die Mühlen des Ressentiments führt. Den Gegner politisch zu Fall bringen zu können, scheint kaum jemand in Betracht zu ziehen.

Literaturhaus am Inn – Lieben, Sprechen, Fühlen, Genießen
Josef-Hirn-Straße 5
6020 Innsbruck

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