In der von Barbara Rieger herausgegebenen Anthologie Mutter werden. Mutter sein. erschienen im Leykam Verlag, erzählen 15 Autorinnen von der – wie es im Untertitel heißt – „ärgsten Sache der Welt“ und legen damit nicht nur einen literarischen, sondern auch einen gesellschaftspolitisch starken Auftritt hin.
Als Nava Ebrahimi im heurigen Jahr der Bachmannpreis verliehen wurde, saß sie pandemiebedingt zuhause vor einem Bildschirm. Über den Livestream zu sehen war lediglich ihr Gesicht, dahinter eine weiße Wand. Später jedoch tauchte auf Twitter und infolge auch in der Tageszeitung Der Standard ein Foto auf, das einen Blick in das Zimmer, in dem die Autorin im Moment der Verleihung saß, preisgab. Das Foto zeigt die Autorin auf ihrem Schreitisch sitzend, umringt von Spielzeug: Legosteine, eine Ritterburg mit Wassergraben, Matchboxautos und Puzzleteile waren auf dem Parkettboden des Zimmers verteilt.
Die ausgezeichnete Autorin wurde durch dieses Foto plötzlich auch als Mutter sichtbar. Da saß sie also die schreibende Mutter, in einem Zimmer, das also keines für „sich allein“ war, wie es Virginia Woolf empfahl, sondern eines, das scheinbar von den Kindern mit ihren Legorittern längst okkupiert worden war. Nava Ebrahimi ist eine der 15 Autorinnen, die von Herausgeberin Barbara Rieger eingeladen wurde, einen Text über ihre Mutterschaft beizutragen. „Ich wünsche mir“, schreibt Ebrahimi in ihrer Auseinandersetzung, die sie an einem „heißen Sonntag“ im „abgedunkelten Wohnzimmer“ in den Computer tippte, während ihr Mann mit den Kindern im Freibad ist, „dass ich diese Seite meines Lebens nicht mehr ausblenden muss, um als Schriftstellerin weiterhin ernst genommen zu werden.“ Damit trifft sie den springenden Punkt, denn tatsächlich „verheimlichen“ viele Schriftstellerinnen ihr Dasein als Mütter, um im Literaturbetrieb neben ihren männlichen Kollegen gleichwertig bestehen zu können.Die ausgezeichnete Autorin wurde durch dieses Foto plötzlich auch als Mutter sichtbar. Da saß sie also die schreibende Mutter, in einem Zimmer, das also keines für „sich allein“ war, wie es Virginia Woolf empfahl, sondern eines, das scheinbar von den Kindern mit ihren Legorittern längst okkupiert worden war.
Insofern liefert die – im ambitionierten Literaturprogramm des Leykam Verlags – erschienene Anthologie einen wesentlichen Diskussionsbeitrag zur Sichtbarmachung der Lebens- und Arbeitswelten von Care-Arbeit leistenden Schriftstellerinnen. Die Textsammlung korrespondiert dabei wohl auch nicht zufällig mit dem Kollektiv writing with care/rage, einer Gruppe schreibender Mütter, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Literaturbetrieb mit Forderungen nach faireren Arbeitsbedingungen zu konfrontieren. Vertreterinnen des Kollektivs, wie z.B. Sandra Gugić oder Lene Albrecht sind auch in der Anthologie zu finden.
Das Besondere an der Textsammlung ist aber nicht ausschließlich der Signal setzende, gesellschaftspolitische Aspekt, es sind vor allem auch die unterschiedlichen literarischen Herangehensweisen der Autorinnen: Katja Bohnet beispielsweise schreibt über eine Mutter-Tochter Beziehung in Form der skurrilen Geschichte Meine Mutter, die Serienmörderin, Teresa Bücker denkt darüber nach, ob es radikal sei ohne Partner ein Kind zu bekommen, Lene Albrecht verhandelt in ihrer Erzählung Eine gute Frau, den Fall einer jungen Mutter, die eine Putzfrau ohne Sozialversicherung engagiert und – trotz guter Absichten – erkennen muss, dass sie selbst Teil eines ausbeuterischen Systems ist. Sandra Gugić beschreibt in ihrer Reflexion Blut, Milch, Digitale Tinte eindringlich, wie sich ihre Art zu Schreiben (und zu Denken) durch die Geburt ihres Kindes verändert hat und was das für sie als Autorin bedeutet. „Es wird eine der großen Ideen des 21. Jahrhunderts sein, dass Mütter Schriftstellerinnen sind und umgekehrt“, schreibt Elena Messner ironisch in ihrem Brief an eine muttergewordene Schriftstellerin und Simone Hirth verfasst mit Wir wollen was ein flammendes Manifest, das die gemeinsame Kraft der Mütter dieser Welt hochleben lässt.
Mutter werden. Mutter sein ist vor allem auch ein Buch über Frauensolidarität und weibliche Wahlverwandtschaften, die durch die Kraft des gesammelten Auftritts spürbar werden. Ein inspirierendes Buch, in dem darüber hinaus erfrischende Gegenpositionen zum (wohl ohnehin schon längst überholten) Begriff des (männlichen) künstlerischen Genies deutlich werden. Empfehlenswert!
Barbara Rieger (Hg.): Mutter werden. Mutter sein. Leykam: Belletristik 2021.
Tipp von Gabriele Wild